Smarte Meeressäuger: Erstaunliche Überlebensstrategie: Robben erspüren Sauerstoff
Forscher haben einen bemerkenswerten Mechanismus entdeckt, der Robben vor dem Ertrinken schützt. Die Meeressäuger messen ihren Blutsauerstoff. Wie das funktioniert.
Wer Sauerstoff zum Atmen braucht, sein Leben aber in Teilen unter Wasser verbringt, der muss höllisch aufpassen. Tauchende Tiere wie Wale, Delfine, Meeresschildkröten und Robben bleiben oft gefährlich lange unter Wasser, um Nahrung zu finden. Die Meeressäuger haben jedoch vermutlich eine Geheimwaffe, wenn es darum geht, solche Tauchgänge zu überleben: Sie erspüren ihren eigenen Blutsauerstoffspiegel.
Zwar zeigen sauerstoffatmende Meerestiere einige Anpassungen, wie eine größere Sauerstoffspeicherung und eine gewisse Toleranz gegenüber niedrigen Sauerstoffwerten. Trotzdem besteht immer auch die Gefahr, so einen Tauchgang nicht zu überleben – nämlich dann, wenn plötzlich der Sauerstoff aufgebraucht ist. Eine der größten evolutionären Herausforderungen für tauchende Säugetiere ist daher, nicht zu ertrinken.
Bislang dachte man, Säugetiere können gar keinen Sauerstoff messen
Das Problem jedoch ist: Säugetiere wie wir und auch Vögel wissen nicht, wann ihnen der Sauerstoff ausgeht. Sie haben nämlich keine Fühler, keine körpereigenen Messstationen dafür. Sie verlassen sich auf einen indirekten Wert als Signal für einen Sauerstoffmangel: die erhöhte Menge an Kohlendioxid (CO2). Steigt der CO2-Wert an, erleben wir eine Panik, die auch „Lufthunger“ genannt wird. Es ist der unbedingte Drang zu atmen.
„Dieses Gefühl wird allein durch CO2 angetrieben“, erzählt der Forscher Chris McKnight in einem Wissenschaftspodcast zu seiner Studie. Das jedoch sei eine ziemlich unzuverlässige Methode.
Von Freitauchern etwa weiß man, wie anfällig dieses System ist. Hyperventiliert man vor dem Tauchgang etwa, atmet also zu schnell und zu tief, gibt man viel Kohlendioxid ab, nimmt aber deswegen nicht mehr Sauerstoff auf. Die niedrigen CO2-Werte führen unter Wasser dann dazu, dass das Bedürfnis, Luft zu holen, später einsetzt. So fällt es zwar leichter, länger zu tauchen, man verpasst jedoch womöglich den Punkt, an dem einem wirklich der Sauerstoff ausgeht. Hat man ihn erreicht, wird man ohne Vorwarnung innerhalb von Sekunden bewusstlos. Im Wasser eine lebensgefährliche Situation.
„Wir fragten uns also“, so McKnight, „ob es bei Tieren, die im Wasser leben, nicht ein grundlegend anderes sensorisches System geben müsste. Eines, das sich nicht auf CO2 verlässt, sondern auf Sauerstoff. Denn das ist das eigentlich kritische Gas.“ Im Fachmagazin Science berichtet der Forscher in dieser Woche zusammen mit seinen Kollegen davon, wie Kegelrobben einen viel besseren Ansatz verfolgen und so nicht einmal mit der Wimper zucken, wenn der CO2-Gehalt 200-mal höher ist als normal.
Sauerstoff veränderte den Tauchgang der Meeressäuger sofort
Um herauszufinden, ob Meeressäuger schwankende Sauerstoffwerte vielleicht direkt wahrnehmen und darauf reagieren können, schauten sich McKnight und seine Kollegen ein paar wilde Kegelrobben (Halichoerus grypus) genauer an. Dazu brachten sie die Tiere für kurze Zeit in eine Art Forschungsstation. Dort hatten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen einen speziellen Tauchparcours vorbereitet. Start war eine kleine Atemkammer, die wie ein durchsichtiges Zelt aus dem Wasser ragte. In dieser Kammer konnten die Forschenden die Luftbedingungen für die Tiere ändern. Sie konnten etwa CO2 einleiten oder auch Sauerstoff. Von der Kammer ausgehend konnten die Robben etwa 60 Meter zu einer unter Wasser liegenden Fütterungsstation tauchen, ein paar Fische fressen und wieder in die Atemkammer zurückkehren.
„Bemerkenswert, selbst wenn die Robben CO2 in Konzentrationen einatmeten, die der 200-fachen Menge der Umgebungsluft entsprachen, war ihre Tauchdauer nicht verändert“, schreiben Lucy Hawkes von der University of Exeter und Jessica Kendall-Bar von der University of California in San Diego in einem begleitenden Kommentar. Variierten die Forscher jedoch die Konzentration des eingeatmeten Sauerstoffs, veränderte sich die Länge des Tauchgangs sofort.
Bei normaler Luft in der Atemkammer tauchten die Tiere im Schnitt rund vier Minuten lang. War der eingeatmete Sauerstoffanteil nur halb so hoch, beendeten die Robben ihre Tauchgänge schon durchschnittlich 27 Sekunden früher und blieben zudem 53 Sekunden länger zum Atmen über Wasser. War der Sauerstoffgehalt in der Atemkammer hingegen mehr als doppelt so hoch wie normal, blieben die Robben im Schnitt 14 Sekunden länger untergetaucht. Dies deutet darauf hin, dass Robben die Sauerstoffmenge im Blut wahrnehmen und die Dauer des Tauchgangs entsprechend planen.
Können auch Wale und Delfine Sauerstoff messen?
„Wenn man einem Menschen zusätzlichen Sauerstoff gibt, aber den CO2-Gehalt überhaupt nicht manipuliert, würde es ihm nicht helfen, mehr Zeit unter Wasser zu verbringen, weil alle Reaktionen auf das Kohlendioxid abzielen“, so McKnight.
Der Fund der Forscher wirft die Frage auf, ob auch andere Tiere den Blutsauerstoff erspüren können. Für Chris McKnight würde das nur Sinn ergeben: „Machen diese Tiere nur einen Fehler, und der Sauerstoff geht ihnen aus, dann ist es vorbei mit ihnen.“ Vor allem bei unglaublich tief tauchenden Walen wie Schnabelwalen und Pottwalen sei der Spielraum für Fehler sehr, sehr klein, so McKnight.
Weitere Untersuchungen könnten zudem klären, warum uns diese Fähigkeit eigentlich fehlt. Hatten wir sie nie, oder haben wir sie verloren? Lucy Hawkes und Jessica Kendall-Bar haben eine Vermutung. In ihrem Kommentar schreiben sie: „Die Unfähigkeit der meisten Säugetiere, einen abnehmenden Sauerstoffgehalt im Blut zu erkennen, ist vielleicht eher eine erworbene als eine ursprüngliche Eigenschaft. Möglicherweise besaßen die im Wasser lebenden Tetrapoden, aus denen sich die modernen Wirbeltiere entwickelten, eine Sauerstoff-Wahrnehmung, die ihre terrestrischen Nachkommen mit der Zeit verloren haben.“