Meinung: Zeitenwende? Bitte auch für Frauen!
Am Equal Pay Day wird viel bedauert und genau so viel gefordert – und danach wird wieder nichts geändert: Frauen verdienen noch immer schlechter als Männer. Muss das sein?
Im Wahlkampf, kurz vor Ende seiner Kanzlerschaft, erinnerte sich Olaf Scholz dann doch noch an ein Thema, das der SPD traditionell angeblich am Herzen liegt: „Dass wir bessere Bezahlung haben für Frauen„, forderte er Ende Januar auf dem roten Teppich des Netzwerks „Frauen100“.
Nun ist der Wahlkampf vorbei. Und bald wird ein Kanzler regieren, der für feministischen Fortschritt nicht bekannt ist. Jüngst geisterte er als Meme durch meine Social-Media-Timelines: „Mehr Türen als Frauen“ hatte eine Instagram-Userin das Foto kommentiert, das Friedrich Merz kurz nach der Wahl zeigte – in einem Besprechungsraum mit fünf weiteren Herren aus der Union. Im Hintergrund: eine Tür.
Der Equal Pay Day ist zum Ritual verkommen
Und die SPD? Die trifft sich weiter mit den Vertreterinnen von Gewerkschaften und Frauenverbänden zum gemeinsamen Wundenlecken. Equal Pay Day: der Tag, der daran erinnert, dass Frauen nach wie vor weniger verdienen als Männer – leider völlig unabhängig davon, wer sie regiert.
Ein „kleines, persönlich gefärbtes Stück“ fragt der geschätzte Ressortleiter dazu an. Acht Jahre lang habe ich meinen ehemaligen Arbeitgeber auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit bis zum Bundesverfassungsgericht verklagt – unterstützt von einer gemeinnützigen Organisation, der Gesellschaft für Freiheitsrechte, verschiedenen Frauenverbänden und sehr, sehr vielen wohlmeinenden Menschen. 2020 gab es ein Präzedenzurteil. Drei Jahre später folgte eine Banküberweisung.
Was ich also empfinde, wenn am heutigen Tage sich wieder alle treffen, um zu skandalisieren, woran sich doch alle längst gewöhnt haben? Dass Frauen 16 Prozent weniger verdienen als Männer – und selbst, wenn Faktoren wie unterschiedliche Berufswahl oder Position herausgerechnet werden, immer noch eine Lohnlücke von sechs Prozent bleibt?
Ich empfinde: Ärger. Wut. Zunehmend auch Langeweile. Dann wieder Wut.
Equal Pay ist ein europäisches Grundrecht
Seit 1957 steht das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit in den europäischen Verträgen. Mehrere Richtlinien und Urteile des Europäischen Gerichtshof präzisierten, wie die Mitgliedsstaaten dieses Grundrecht umzusetzen haben.
Deutschland aber hielt sich nicht daran. Statt die Vorgaben vollumfänglich umzusetzen, zahlte man Frauen weiter weniger: Der Gender Pay Gap blieb im internationalen Vergleich lange besonders hoch. Und das 2017 verabschiedete Entgelttransparenzgesetz fiel gleich bei zwei Evaluationen gründlich durch. Einige Jahre später bezeichnete es sogar die zuständige Ministerin Lisa Paus als „zahnlosen Tiger“ – allerdings ohne etwas daran zu ändern.
Es geht um die Unverschämtheit. Um den Schlag ins Gesicht
Bei Equal Pay geht es nicht nur um ein Paar Schuhe, das sich Frauen am Ende des Monats nicht kaufen. Sondern um ein Grundrecht, verankert in der Europäischen Grundrechtecharta. Und es geht um den Schlag ins Gesicht, wenn dieses Recht verletzt wird. Um die Unverschämtheit. Um die Wut darüber, dass so wenig passiert.
Hier eine Auswahl dessen, was in der jüngsten Vergangenheit alles am Equal Pay Day gefordert wurde:
„Es ist unerhört, dass wir im 21. Jahrhundert noch über solche Unterschiede zwischen Männern und Frauen diskutieren müssen.“ Franziska Giffey, damals Bundesfrauenministerin, SPD, 2020.
„Frauen müssen endlich so viel verdienen können wie Männer.“ Angela Merkel, damals Bundeskanzlerin, CDU, 2021.
„Gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit.“ Olaf Scholz, Bundeskanzler, SPD, 2022.
Die Geschichte der Lohndiskriminierung ist eine der leeren Versprechungen.
Wie lange soll das so weitergehen?
Dass sich überhaupt etwas geändert hat, liegt weniger an der Politik denn an einigen Frauen, denen der Kragen platzte. Wut kann auch wirken wie Benzin: Drei klagten sich bis vor die Bundesrichter. Auf mein Urteil folgte das von Gabriele Gamroth-Günther, einer Versicherungsjuristin aus Niedersachsen, darauf folgte das der sächsischen Diplomkauffrau Susanne Dumas. Urteil für Urteil wurde es schwieriger zu diskriminieren. Und teurer. Chefs kommen jetzt beispielsweise nicht mehr so einfach durch, indem sie behaupten, die Frau habe halt schlechter verhandelt. Seit dem Jahr 2023 ist richterlich verbrieft, dass diese dümmste aller Ausreden nicht mehr gilt.
Wir, die ehemaligen Klägerinnen, unterhalten eine WhatsApp-Gruppe, gemeinsam mit neuen Klägerinnen. Die gute Nachricht: Die Gruppe wächst. Die schlechte: Sie wird nie auffangen können, was der Staat versäumt. Machen ist wie wollen, nur krasser.
Aber warum macht niemand?
Laut einer weiteren EU-Richtlinie müssen Firmen mit mehr als 100 Beschäftigten künftig ihre Entgeltlücken veröffentlichen. Nicht mehr einzelne Frauen sollen klagen müssen, sondern an ihrer statt könnten Verbände vor Gericht ziehen – eine enorme Erleichterung. Und sollten Firmen trotzdem weiter diskriminieren, drohen ihnen empfindliche Sanktionen.
Bis zum Juni 2026 muss dieser Equal-Pay-Turbo aus Brüssel in ein deutsches Gesetz überführt werden. Die Ampel hätte das längst tun können. Doch sie drückte sich.
Soll das ewig so weitergehen?
Wenn wir schon dabei sind: Zeitenwende auch für Equal Pay
Nun also haben wir die Zeitenwende. In atemberaubendem Tempo verabschiedet sich Deutschland von sicher Geglaubtem. Schuldenbremse? De facto perdu. Abrüstung? Von gestern. Panzer, Drohnen, Brücken – die Bundesrepublik wird in den nächsten Jahren Milliarden ausgeben. Nichts ist wie vorher, seitdem der Ultra-Macho in Washington zum Präsidenten gewählt wurde.
Wenn wir also schon dabei sind: Warum nicht auch eine Zeitenwende für Equal Pay?
Warum nicht endlich umsetzen, was Frauen seit Jahrzehnten versprochen wird? Warum Europa nicht zu einer tatsächlichen Bastion demokratischer Grundwerte machen – auch für Frauen?
Es ist wirklich an der Zeit.