TV-Kritik zum ESC-Vorentscheid: Es „ballert“ in Basel
Am Ende eines langen, dennoch kurzweiligen Abends setzt sich das Geschwister-Duo Abor & Tynna mit dem Song „Baller“ durch. Österreich startet für Deutschland beim ESC 2025 in der Schweiz.
Es gibt wohl so einiges, was von diesem denkwürdigen ESC-Abend in Erinnerung bleiben dürfte. Die Knicklicht-Brille von Conchita Wurst. Stefan Raabs Lied übers „Rambo Zambo“ des Herrn Merz samt Zeile vom rasierten Sack. Die Schale mit dem Knabberzeug, das aussah wie zweimal überfahrene Grillfest-Reste. Das schwarz-bronzene Wickelkleid von Barbara Schöneberger. Ein zerhauenes Cello. Oder die Tatsache, dass ins Lied von Moss Kena noch etwas mehr Schmalz hinten rein gemusst, damit es richtig flutscht.
Es war eine Menge los an diesem Abend, bei einer Sendungsdauer von über drei Stunden durchaus ein Vorteil. Eher ein Nachteil unüberhörbar die Tatsache, dass eben jenes Lied des Briten, wie wohl auch ein, zwei andere Songs im Teilnehmerfeld in Sachen Arrangement noch einiges an Finetuning gebraucht hätten, um endgültig auf ESC-Betriebstemperatur zu kommen. So ein Wettbewerb jedoch lebt von Tatsachen-Entscheidungen in Echtzeit und da hatten Abor & Tynna die Nasen vorn und das mit über 34,9 Prozent der Stimmen aus dem Zuschauervoting.
Conchita Wurst und der ESC-Vorentscheid: Deliziös anzuschauen
Neun Acts waren im Finale angetreten und performten jeweils zwei Songs, eine Coverversion und den geplanten ESC-Beitrag, die Jury – diesmal waren neben Stefan Raab und Yvonne Catterfeld noch Nico Santos und Conchita Wurst dabei – entschied anschließend über die finalen Fünf, danach lag die Entscheidung in den Händen des Fernsehpublikums.
The Great Leslie traten als Erstes an, zersägten erst ABBAs „Waterloo“ in Franz-Ferdinand-große Häppchen, um anschließend mit „These Days“ in die gleiche Kerbe zu hauen. „Delicious to watch“, urteilte Conchita Wurst, anno 2014 mit „Rise Like A Phoenix“ ganz oben auf dem ESC-Treppchen, und mit dieser Brille und dem Mix aus grauem Nadelstreifen und weiß-hellblauem Babydoll/Küchenschürzen-Crossover ebenfalls deliziös anzuschauen.
Geklöter auf der Rollenspiel-Tonne
Für Benjamin Braatz war erst Robbie Williams’ „Angel“ ein bisschen zu groß, anschließend ein Stuhl der Studiokulisse, auf dem man ihn beim Vortrag von „Like You Love Me“ drapiert hatte. Schmuck anzuhören war es auf jeden Fall, „Du host a Herz aus Gold“ schwärmte Conchita Wurst erneut. „Eine unglaubliche Komposition“ hörte Nico Santos in Leonoras „This Bliss“ und in der Tat – das war knackiger Soul mit superb arrangierten Bläsern, erstklassigem Drumming und großartigen Vocal-Lines, „warm und safe“, wie Stefan Raab befand.
Feuerschwanz zeigten zunächst Ed Sheerans „I See Fire“, was eine Metalharke ist, anschließend öffneten sie die eisernen Pforten zu ihrem „Knightclub“. Yvonne Catterfeld ließ sich davon „in den Bann ziehen“ und fand das Ganze „authentisch“. Wobei man sich natürlich fragen kann, wie authentisch Typen in Ritter-Rüstung mit E-Gitarren sein können, die Folk mit Heavy Metal kreuzen und mächtig Geklöter auf die Rollenspiel-Tonne hauen. Moss Kena coverte, wie zuvor schon Leonora, einen Song von Dua Lipa, bevor es ans Eingemachte ging, dem dann, siehe oben, so ein bisschen der „Schmalz“ fehlte, vielleicht auch ganz einfach die Beats oder das ESC-typische Transponieren am Ende – da nützte auch „die beste Stimme im Wettbewerb“ (Conchita Wurst) nichts. Ein Final-Song muss im Augenblick passieren. Der muss sitzen, stehen, passen. Kein „da gehen wir nochmal ran“ oder „in Basel wird es schon zünden“, nein, das Ding muss kesseln. Das muss knallen. Das muss ballern.
Gothic-Maibaum und Chicken Wings
Bei Abor & Tynna tat es genau das, ihr „Baller“ hatte dieses bestimmte Etwas, der „mit Abstand modernste Song“, wie Stefan Raab treffend befand und bei der Einordnung von Tynnas etwas eigenwilliger Phrasierung auch gleich noch einen schmucken Querverweis parat hatte: „der weibliche junge Udo Lindenberg“. Von „Baller“ zu „Bodo Ballermann“, ein Schelm, wer da pophistorisch weiträumig assoziiert. Cosby schlugen sich danach tapfer mit Whitney Houstons „I Wanna Dance With Somebody“ und ihrer Evanescence/Avril Lavigne-Powerballade „I’m Still Here“. Auch Lyza genoss ihren dritten Auftritt, das war nicht zu übersehen, „Du bist der Hammer“, entfuhr es Barbara Schöneberger. Zunächst hatte Lyza Radioheads „Creep“ Richtung TikTok-Drama gedreht, bevor sie zu „Lovers on Mars“ die Astronauten fliegen ließ und danach Julika noch einmal alle ESC-Register zog.
Mit Loreens „Euphoria“ adäquat warm gesungen, ließ sie sich anschließend als eine Art Gothic-Maibaum mit Tüchern umwehen, auf den Schulter die Federn jener Vögel, aus deren Flügel man vielleicht jene Chicken Wings gemacht hatte, die man den Juroren zur Stärkung hingestellt hatte. Ihr Song „Empress“ bot klassischen ESC-Stoff, wenngleich auch dem vielleicht die letzte Portion „Luft nach oben“ (Nico Santos) fehlte, Stefan Raab meinte immerhin, dazu könne man sich „gut massieren lassen“.
Beim ESC-Vorentscheid wurde geballert
Nach eingehender Beratung zogen gemäß Jury-Urteil Leonora, Moss Kena, Abor & Tynna, Lyza und The Great Leslie ins Finale ein und stellten sich dem Voting der Zuschauerinnen und Zuschauer. Während die also anriefen – „Das geht locker 20-mal, wenn ihr wollt“ (Barbara Schöneberger) – fügte Stefan Raab seiner langen, von Evergreens wie „Maschendrahtzaun“ bis „Flasche Bier“ gespickten Historie mit dem von Friedrich Merz inspirierten „Rambo Zambo Song“ einen weiteren Eintrag hinzu, ein dickhosiger Dancetrack mit Lambo, Bubatz und rasierten Eiern.
Rasiert wurde am Ende auch die Konkurrenz, von Abor & Tynna nämlich, denn die hatten, siehe oben, das beste Ende für sich und werden als Österreicher Deutschland beim ESC in der Schweiz vertreten. So geht Europa. Das ballert! Mal schauen, ob die beiden in Basel wieder ein Cello zertrümmern …