Meinung: Fähnchen im Wind auf dem Weg ins Kanzleramt
Friedrich Merz will Kanzler werden – koste es, was es wolle. Sein Schlingerkurs im Wahlkampf lässt dabei eine böse Vermutung zu: Eigentlich geht es hier nur um ihn selbst.
Der Bundestagswahlkampf ist noch im vollen Gange, aber schon jetzt zeichnet sich ab, wer nicht nur Bundeskanzler, sondern auch Deutscher Meister im Zurückrudern wird: Friedrich Merz. Der Kanzlerkandidat der Union hat in den vergangenen Monaten gefühlt im Wochentakt große Bekenntnisse, Versprechen oder Forderungen verkündet, nur um sie dann in Kleinarbeit wieder zu relativieren. Mal ist er für die Taurus-Lieferung an die Ukraine, mal dagegen. Mal kritisiert er den Atomausstieg, einen Wiedereinstieg hält er jedoch für „unwahrscheinlich“. Und dann ist da ja noch die Sache mit der Brandmauer zur AfD.
Friedrich Merz fährt im Wahlkampf einen Schlingerkurs
Merz fährt im Wahlkampf einen Schlingerkurs. Geleitet einzig und allein von den Umfragewerten. Er erzählt den Wählern, was sie hören wollen, solange es Stimmen verspricht. Lange inszenierte er sich als Baumeister der Brandmauer, schloss eine Zusammenarbeit mit der AfD vehement aus. Nun weicht er seine Aussage zumindest so weit auf, als dass er sich offen für die Stimmen der AfD zeigt, sollte die Rechtsaußen-Partei für seinen „5-Punkte-Migrationsplan“ votieren. Friedrich Merz bereitet sich auf Trump vor 9.30
Die Wähler sollen Merz offenbar als Pragmatiker wahrnehmen. Erst kommen die (vermeintlichen) Problemlösungen, danach kann man über Ideologie oder Haltung reden. Auf den ersten Blick wirkt das vernünftig und aus Sicht des Kanzlerkandidaten vielversprechend. Doch Merz geht auch ein massives Risiko ein: Wofür er wirklich steht, verwässert er mit jeder Rolle rückwärts ein bisschen mehr.
Man kommt also zu der Vermutung, die seine Kritiker ihm seit Langem vorwerfen: Friedrich Merz geht es vor allem um Friedrich Merz. Er will Kanzler werden, koste es was es wolle. Dafür scheint er auch bereit zu sein, sich in Scheindebatten zu flüchten oder Versprechen zu machen, bei denen es große Zweifel gibt, ob er sie einhalten kann. Etwa den Plan, Asylsuchende an der Grenze abzuweisen, ohne ihren Antrag zu prüfen. Das klingt nach harter Hand, nach striktem Durchgreifen, nach einem eisernen Kanzler. Einige Europarechtler sehen darin allerdings einen Verstoß gegen Gesetze – die auch für einen Kanzler Merz gelten.
Ab einem gewissen Punkt wird Pragmatismus zu Rückgratlosigkeit
Politik macht man nicht einfach mit Wunschvorstellungen – das wissen die Wähler. Und sie wissen auch, dass Ankündigungen von Merz, er wolle an seinem ersten Tag als Kanzler durchregieren, notfalls seine Richtlinienkompetenz nutzen, um die Grenzen dichtzumachen, letztlich nicht mehr sind als Allmachtsfantasien, die vielleicht in den USA möglich sind, aber nicht in Deutschland. Vielleicht kann man sie gar als Betteln verstehen: „Ich verspreche euch, was ihr wollt, aber ich muss um Gottes Willen Kanzler werden.“ Analyse Parteien Aschaffenburg 14.00
Das Problem dabei: Ab einem gewissen Punkt wird Pragmatismus zu Rückgratlosigkeit. Wer nur auf Umfragewerte schaut, verliert den eigenen Kompass. Und schadet damit vielleicht nicht nur sich selbst, sondern auch der Glaubwürdigkeit der eigenen Partei. Bei dieser Wahl wird Merz mit seiner Taktik wohl durchkommen. Doch schon jetzt ist für die Wähler nicht zu sagen, wer genau dann da im Kanzleramt sitzen wird. Friedrich Merz, der CDU-Kanzler in Tradition von Adenauer, Kiesinger und Kohl? Oder das Fähnchen im Wind aus dem Wahlkampf?