Dumas-Neuverfilmung: Der Graf von Monte Christo: Warum uns sein Rachefeldzug bis heute fasziniert
Pierre Niney ist der 31. Graf von Monte Christo. Der Franzose tritt als neuer Kinoheld in sehr große Fußstapfen. Kann er seine Vorgänger ausstechen?
Da sitzt ein verzweifelter Mann namens Edmond in einem Kerker und ist kurz davor, sich das Leben zu nehmen, als unerwartet ein netter Mönch durch die Wand bricht. Der wollte sich eigentlich einen Weg nach draußen buddeln, hat sich aber bei der Route verrechnet. Stattdessen lehrt der Gottesmann nun den unschuldig inhaftierten Edmond viele Fremdsprachen und verrät ihm obendrein, wo ein Goldschatz versteckt ist. Und so kann unser Held 14 Jahre später nach einer halsbrecherischen Flucht mit falscher Identität und voller Geldbörse genüsslich Rache an allen nehmen, die einst sein Leben zerstörten.
Alexandre Dumas‘ Abenteuergeschichte „Der Graf von Monte Christo“, die zwischen 1844 und 1846 als Fortsetzungsroman in einer Pariser Wochenzeitung erschien, ist eine grenzabsurde Schmonzette. Das Epos hat so viele hanebüchene Zufälle, Verknüpfungen und Wendungen, dass selbst Sebastian Fitzek mulmig dabei würde. Aber die Odyssee des Grafen macht Spaß und reißt mit – seit 180 Jahren. 30-mal wurde die Geschichte schon verfilmt. Erstmals 1908 als Stummfilm, für den die ausufernde Geschichte auf sportliche 14 Minuten zusammengekürzt wurde – und aktuell, es ist die Nummer 31, als dreistündiges Kinoabenteuer. Mit einem Budget von 40 Millionen Euro und einem sehenswerten Hauptdarsteller.
Eindringlicher Blick: Der Franzose Pierre Niney ist in seiner Heimat ein Star. In einem Biopic spielte er Yves Saint Laurent
© capelight pictures / Jérôme Prébois
Pierre Niney heißt der neue Graf. Mit seinen 35 Jahren ist er in seiner französischen Heimat längst eine große Nummer. Bereits als Kind stand er auf der Theaterbühne, war als Herzensbrecher in mehreren Teeniefilmen zu sehen und wurde mit 21 das jüngste Mitglied der Comédie-Française. 2015 erhielt er den Filmpreis César für seine Titelrolle im Biopic „Yves Saint Laurent“.
Niney entspricht dem neuen Männer-Ideal. Er ist kein klassischer Schönling, kein neuer Brad Pitt, sondern struppig, eigenwillig, charismatisch. Und er kann spielen: Die mehrfache Wandlung vom naiven Jüngling zum ausgemergelten Häftling zum gebrochenen Rächer meistert er souverän.
Der Graf von Monte Christo steht und fällt mit der Hauptrolle
Der neue „Graf von Monte Christo“ ist ein altmodischer, manchmal betulicher Film. Solide gemacht, aber ohne jede Überraschung. Trotzdem gingen mehr als acht Millionen Franzosen dafür ins Kino. Und das ist im wesentlichen Nineys Verdienst. Denn der hat, was dem Film ansonsten fehlt: Ecken und Kanten. Bei Werken wie diesen steht und fällt mitunter alles mit der Hauptrolle.
Herzensbrecher: Jean Marais 1954 in „Der Graf von Monte Christo“. Der Film lief damals in zwei Teilen
Der erste große Monte Christo-Herzensbrecher war 1954 Jean Marais. Der lockte damals ebenfalls Millionen in die französischen Kinos und ließ die Damenwelt schmachten – die freilich nicht ahnte, dass dieser kernige Typ schon damals mit dem Regisseur Jean Cocteau zusammenlebte und später eine Ikone der Schwulenszene werden würde.
1975 übernahm ein Amerikaner den Christo-Kult. Richard Chamberlain, der kurz zuvor als einer der drei Musketiere geglänzt hatte, festigte mit dieser Rolle sein Image als sensibler Held. Später wurde er mit TV-Serien wie „Die Dornenvögel“ und „Shogun“ zum Großmeister über die Tränendrüsen.
Sensibler Held: 1975 gab Richard Chamberlain (l.) den Grafen – hier im Duell mit einem seiner Widersacher
© United Archives / IFTN
In den 90er-Jahren wählte man einen etwas rustikaleren Ansatz: Gérard Depardieu spielte 1998 in einem werktreuen TV-Vierteiler die Titelrolle – auch wenn man Schwierigkeiten hat, diesem stämmigen Herrn zu glauben, dass er 14 Jahre lang im Kerker wirklich nur trocken Brot und Schmutzwasser bekommen hat.
Nach dem Grafen ist immer auch vor dem Grafen
Der letzte Blockbuster-Graf vor Niney war James Caviezel im schlicht „Monte Cristo“ betitelten Abenteuerfilm des „Waterworld“-Regisseurs Kevin Reynolds. In dem netten Spektakel wirkt der seltsam blasse Hauptdarsteller aber etwas orientierungslos. Inzwischen macht Caviezel nur noch als Trump-Anhänger, religiöser Fanatiker und Verschwörungstheoretiker der QAnon-Bewegung von sich reden.
Durfte als Franzose nicht fehlen: Gérard Depardieu 1998 als Comte de Monte Christo in einem TV-Vierteiler
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Auch andere Länder versuchten sich am Grafen: Aus Japan etwa kam die Manga-Trickfilmserie „Gankutsuo“, in der der Held zum Samurai wird (zu sehen bei Amazon Prime). Es gab Filme, die die Story nach Ägypten Argentinien oder Mexiko. Erwähnt werden soll auch das wunderbar schräge Werk „Der Rächer aus dem Sarg“, in dem der falsche Graf als Nazi-Widerstandskämpfer aktiv ist.
Und weil nach dem Grafen immer auch vor dem Grafen ist, steht bereits die nächste Version an: Altmeister Bille August („Das Geisterhaus“) hat eine achtteilige Miniserie abgedreht, in der Sam Claflin („Peaky Blinders“) die Hauptrolle spielt. Sie soll noch dieses Jahr nach Deutschland kommen.