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Kanzler in spe: Merz liebt einfach alle Bücher – und sonst so?

Was Friedrich Merz politisch kann und will, sollte in den letzten Wochen leidlich klar geworden sein. Aber was versteht er von Literatur, Musik, Theater, Film und Kunst?

Kaum war raus, dass Friedrich Merz höchstwahrscheinlich der nächste Kanzler wird, setzte sich der Deutsche Kulturrat hin und verfasste ein Schreiben, in dem er die Bundesregierung zu handfesten kulturpolitischen Taten aufforderte. Das sieht natürlich ganz nach Panikattacke aus. So, als fürchtete der Spitzenverband aus dem Kultur- und Mediensektor nun, dass im Bund derselbe kulturelle Kahlschlag kommt, wie er schon in Berlin tobt, wo Kultursenator Joe Chiallo gerade allen Opern, Theatern und Orchestern den Geldhahn zudreht. Sind solche Befürchtungen berechtigt? Wie sieht das kulturelle Leben des Friedrich Merz aus?

Wenn der Kanzler in spe nach Kultur gefragt wird, gibt er sich gern als Musikliebhaber. Er sagt dann, er höre eigentlich alles „von Jazz bis Klassik“. Aus so einem Satz spricht natürlich nichts als die wahre Leidenschaft eines wirklichen Kenners. Genau wie echte Weinliebhaber unzweifelhaft daran zu erkennen sind, dass sie vom Tetrapak-Rosé aus Grönland bis zur Chardonnay-Schlossabfüllung aus Paderborn einfach alles spannend finden. 

Aber noch sehr viel mehr als die Musik scheint Friedrich Merz die Literatur zu lieben. So groß und alles umspannend ist seine Liebe, dass er es einfach nicht übers Herz bringt, sich an ein einziges Buch zu binden. Das hat zur Folge, dass sämtliche KI-Modelle zwischen Silicon Valley und dem chinesischen Perlflussdelta auf die Frage nach Merz‘ Lieblingsbuch Folgendes oder Ähnliches antworten: „Basierend auf den verfügbaren Informationen lässt sich nicht eindeutig feststellen, was das Lieblingsbuch von Friedrich Merz ist.“ Das lässt nur einen Schluss zu: Er liebt sie einfach alle.

Friedrich Merz: ein nach allen Richtungen offener Geist

Ähnliche Antworten auch bei Film, Theater, Kunst oder Philosophie. Auch hier hindert den Kanzler in spe seine umfassende Bildung ganz offensichtlich daran, sich auf nur einen Namen festlegen zu wollen. Kulturell ist der neue Kanzler also allerbestens aufgestellt. Keine Spezialvorlieben engen seinen weiten Blick ein. Er ist ein nach allen Richtungen offener Geist. Ein klassischer „Homo universalis“ ganz im Sinne der Renaissance. Man könnte also fast sicher sein: Wenn Merz die Schuldenbremse nicht für Panzer lockern wird, dann lässt er sie ganz bestimmt zur Finanzierung aller Opernhäuser und Theater fallen. Man müsste ihn halt einfach nur mal fragen.

Besonders berühmt wurde Friedrich Merz natürlich dank seiner Erfindung des Begriffes der „deutschen Leitkultur„, den er im Oktober 2000 in die Welt brachte und der nun wieder im aktuellen CDU-Wahlprogramm zu finden ist. Mit diesem Konzept hat er sich als einer der prägendsten Denker unserer Zeit profiliert, der auch immer wieder gern von den führenden Theoretikern der AfD zitiert wird.

Wackeldackel und Goethe

Das innovative Konzept der Leitkultur ist derart herausfordernd, dass selbst die schärfsten Denker und brillantesten Theoretiker unserer Zeit bislang nicht wirklich überzeugend darlegen konnten, was das denn nun verdammt noch mal eigentlich sein soll, diese famose deutsche Leitkultur. Handelt es sich eher um gewachsene, freiheitliche deutsche Waffenexporte in Kriegsgebiete? Oder um den in den letzten 20 Jahren so lieb gewonnenen deutschen Brauch, das Asylrecht immer mehr zu schleifen? Oder dachte Merz eher an den heimeligen Brauch der schwäbischen Kehrwoche? Oder vielleicht doch eher an die heilige deutsche Autofahrer-Pflicht, neben dem Wackeldackel hinten auf der Hutablage immer auch eine angebrochene Kleenex-Box aufzustellen?

Ist deutsche Leitkultur vielleicht einfach gleichbedeutend mit deutscher Sprache? Aber welcher deutschen Sprache? Der von Goethe? Der von Shirin David? Oder versammeln sich unter dem Begriff der Leitkultur einfach all die wunderbaren deutschen Gedichte, die Tino Chrupalla nicht auswendig kann?

Vielleicht meint Friedrich Merz mit seiner Doktrin einfach jede Art von Kultur, die man irgendwie ungestört im Hintergrund hören kann, während man seinen Privatjet zu Hause in den Carport einparkt. Wie zum Beispiel Jazz von Till Brönner. Letzterer ist einer der ganz seltenen Künstlernamen, die fallen, wenn Friedrich Merz über Kultur spricht. Mit Brönner verbindet den Kanzleraspiranten die tiefe Liebe zum geblasenen Blechinstrument. In einem Interview erzählte Merz, er habe in seiner Schulzeit Posaune gelernt und kurz sogar auch in einem Orchester gespielt. Er gestand: „Ab und zu hole ich jetzt abends die Posaune wieder hervor, um etwas zu entspannen, aber mir fehlt die Übung.“  Wenn also demnächst wieder mal in seiner alten Heimat Sauerland eine Brücke einstürzt, habt Nachsicht mit dem Merz.

Till Brönner scheint Merz Idealvorstellung von Kultur nahezukommen: Eine weichgespülte, deutsche Version einer ursprünglich vielleicht doch etwas zu unzähmbaren Musik. Nicht der unauslotbare Wahnsinn eines John Coltrane oder Pharoah Sanders. Sondern sanfte Klänge aus Potsdam, die nicht weiter stören im Fahrstuhl hoch ins Kanzleramt.

Motorrad, Lederjacke, Bubatz

Nun wollen wir damit keinesfalls suggerieren, dass sich Merz den Reizen einer verrückten, durchdrehenden, leidenschaftlichen Kultur gänzlich verschließen würde. Schließlich hat er schon schmunzelnd gebeichtet, dass er in seiner Jugend durchaus Phasen von Zügellosigkeit und „Born to be wild“ durchlebt hat. Damals raste er mit schulterlangen Haaren auf knatternden Mopeds durch seine Heimatstadt Brilon. Behauptete er jedenfalls. Vor Ort hatte man allerdings Zweifel. Egal. Merz erinnert sich jedenfalls noch heute daran, wie sein Vater ihn für das Rebellentum damals schwer in die Mangel nahm. So hat sich bei dem CDU-Mann wohl eine zwiespältige Beziehung zu allem aufgebaut, was Kontrollverlust bedeuten könnte: Moped, Lederjacke, Bubatz. Einerseits zieht es ihn an, andererseits stößt es ihn ab.

Diese inneren Dissonanzen zeigen sich auch in seinem Bekenntnis, das er in der „Bunten“ ablegte: „Meine schönste Erinnerung an einen Opernabend ist bis heute die Aufführung von ‚La Traviata‘ mit Anna Netrebko in Salzburg“, sagte er der Zeitschrift. Doch die Geschichte der Edelprostituierten Violetta Valéry, die sich in ein Leben voller Luxus und Ausgelassenheit stürzt, um ihre lebensbedrohliche Krankheit zu vergessen, muss ihm ziemlich im Magen gelegen haben. Und gegen schwer Verdauliches hat man im Sauerland ein bewährtes Hausmittel: Merz erzählt, dass ihn „La Traviata“ derart mitgenommen habe, dass er danach „erst einmal einen Schnaps trinken“ musste.