Psychologie: Ist es schlimm, nur wenige Freunde zu haben?
Ohne Freundschaft ist das Leben grau. Aber wie wichtig ist die Zahl der Menschen, denen man sich auch nachts um drei anvertrauen kann? Die Antwort der Wissenschaft überrascht.
Als Anant Ambani im Sommer 2024 seine Braut Radhika Merchant in Indien heiratete, waren allein zu den Vorfeierlichkeiten 1200 Gäste geladen. Der jüngste Spross des reichsten Mannes Asiens lebt und feiert eben in anderen Dimensionen. Es wäre interessant zu wissen, wie viele Freunde Ambani hat. Gute Freunde. Enge Freunde. Menschen, die er notfalls morgens um drei anrufen und um etwas bitten kann. Menschen, denen er sich vorbehaltlos öffnet, denen er vertraut, die einfach da sind, wenn es ihm schlecht geht.
Freundschaft: Hier zählen Zahlen eher wenig
Wie viele gute Freunde braucht der Mensch? Diese Frage lässt sich pauschal nicht beantworten, auch wenn es Hinweise dafür gibt, dass schon ein einziger Vertrauter Wunder bewirken kann. Ist es schlimm, nur wenige gute Freunde zu haben? Kurze Antwort: nein!
Das widerspricht zunächst allen Regeln auf Social-Media-Kanälen: Auf Instagram oder Tiktok lauten die wichtigsten Währungen Follower und Likes. Viel hilft viel, je höher die Zahlen, desto höher der soziale Status. Dafür ziehen sich Menschen aus, um oder an. Dafür gehen sie an und über Grenzen, inszenieren ihr Leben als waghalsiges Abenteuer. Aber wo das Selfie echte Nähe ersetzt, können auch eine Million Follower keinen engen Freund ersetzen.
Nur zwei von drei Deutschen haben einen besten Freund oder eine beste Freundin
Inzwischen weiß die Forschung: Nicht die Zahl der Freunde ist entscheidend, sondern die Qualität der Beziehung. Eine britisch-amerikanische Langzeitstudie kam vor mehr als fünf Jahren zu dem Ergebnis, dass Menschen, die im Jugendalter nur wenige, aber dafür sehr enge Freundschaften pflegten, im Erwachsenenalter weniger häufig an Depressionen oder Angstgefühlen litten. Jüngere Menschen, die eher wenige, aber dafür tiefe Freundschaften pflegten, waren im späteren Leben selbstbewusster, unabhängiger und psychisch insgesamt gesünder als diejenigen Testpersonen, die einen großen Freundeskreis mit vielen losen, eher oberflächlichen Bekanntschaften hatten.
Einer Studie des Instituts Allensbach von 2022 zufolge finden es fast 85 Prozent der Befragten wichtig, gute Freunde zu haben – der laut Umfrage wichtigste Faktor für ein gutes Leben. Aber gemäß einer Untersuchung aus dem Jahr 2018 haben längst nicht alle Deutschen einen besten Freund oder eine beste Freundin – das gaben nur 66 Prozent der Befragten an. Durchschnittlich hatten sie 3,7 enge Freunde und zählten 11 Personen zu ihrem erweiterten Freundeskreis. Die Studie verriet auch, was Menschen an guten Freunden am wichtigsten ist: vor allem offene Kommunikation, also ein ehrlicher Umgang miteinander, und dass man über alles reden kann.
Fehlen gute Freunde, fördert das ein Gefühl der Einsamkeit. Laut Einsamkeitsbarometer 2024 des Bundesfamilienministeriums wird Einsamkeit mit „depressiven Störungen, suizidalem Verhalten, Schlafproblemen, höherer Mortalität sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen“ verbunden. Im Jahr 2021 wiesen mehr als 60 Prozent der Personen mit erhöhter Einsamkeitsbelastung eine unterdurchschnittliche körperliche Gesundheit auf.
Ein einziger Mensch kann völlig ausreichen
Warum Freunde und enge Beziehungen so wichtig sind, ist gut erforscht: Einerseits war der Mensch evolutionär gesehen als soziales Wesen schon immer auf engen Kontakt zu anderen angewiesen, denn im Verbund waren die Überlebenschancen des Einzelnen höher. Andererseits hat positive Nähe, wie wir sie in engen Freundschaften erfahren, große Auswirkungen auf unseren Hirnstoffwechsel.
Das verdeutlicht die Neurowissenschaftlerin Michaela Brohm-Badry, Professorin für Lehr-Lernforschung an der Universität Trier: „Unser Körper schüttet dann bestimmte Neurotransmitter und Hormone aus. Zum Beispiel Dopamin und Serotonin – diese fördern Motivation, Wohlbefinden und Zufriedenheit. Besonders wichtig ist auch Oxytocin, das sogenannte Bindungshormon. Und natürlich Endorphine, die körpereigenen Schmerzmittel, die uns die Angst nehmen. Diese neurochemischen Vorgänge zeigen: Unser Körper belohnt uns für enge Beziehungen.“
Auch Brohm-Badry räumt mit dem Vorurteil auf, dass viele Freunde automatisch besser sind als wenige: „Aus psychologischer und neurowissenschaftlicher Sicht brauchen wir nur eine einzige enge, vertrauensvolle Person. Wenn man die hat, reicht das oft aus, um sich sicher und unterstützt zu fühlen.“