Meinung: Elterngeld, Feiertag oder Pendlerpauschale: So lassen sich Milliarden einsparen
Union und SPD planen zwei Sondervermögen von 900 Milliarden Euro. Um sie mit Krediten zu stemmen, muss zugleich heftig gespart werden. Unser Autor hat ein paar Vorschläge.
Wenn Parteien nach Neuwahlen um einen Koalitionsvertrag ringen, drängt eine selbstbewusste Zunft an die Mikrofone, die qua Definition alles besser weiß: die Wirtschaftsexperten. So ist es auch 2025 wieder: Auf sämtlichen Medienkanälen wird gefratzschert, gehüthert, gefuestet und gesüdekumt. Sehr hilfreich ist das per se nicht. Denn all diese Ökonomen bewerten die Sondierungsvereinbarungen von Schwarz-Rot teils fundamental anders. Sie erzeugen damit mehr Frage- als Ausrufezeichen in den Köpfen der Bevölkerung.
Sondervermögen wir von vielen Ökonomen zerpflückt
Manche loben im Grundsatz die geplante Schuldenaufnahme, um per Sondervermögen Armee und Konjunktur auf Vordermann zu bringen. Andere, wie die prominente „Wirtschaftsweise“ Veronika Grimm, seit 2020 im Sachverständigenrat der Bundesregierung, kanzelt das avisierte, über zehn Jahre fast eine Billion Euro schwere Sondervermögen in der „Bild“ als „Satire“ ab (Warum, Frau Professorin und erste Beraterin der Bundesregierung, haben Sie in den fünf Jahren eigentlich die aktuelle Wirtschaftsmisere nicht verhindert?)
Nun könnte man die Inflations- und Wachstumsprognosen der Wirtschaftsexperten einfach nach ganz hinten ins Regal legen, denn laut Statistik sind ihre Langzeitanalysen in der Regel kaum zutreffender als Langzeitwettervorhersagen. Sie können auch gar nicht mehr liefern als eine grobe Orientierung, denn die Entwicklung einer global agierenden Volkswirtschaft ist multikomplex wie das Wettergeschehen und unterliegt keinen einfachen Kausalitäten wie der Straßenverkehr. Vor allem aber hängen Investitionen und Konsum sehr stark von der Stimmung im Land ab. Die kann sich ganz schnell drehen, man kennt das: Gewinnt Deutschland eine Fußball-WM, herrscht plötzlich Euphorie, obwohl sich an den ökonomischen Eckdaten erst einmal nichts geändert hat.
Es gibt aber ein paar Erkenntnisse, in denen sich so ziemlich alle Ökonomen einig sind und die einer genaueren Betrachtung wert sind. Sie sind nicht so tiefgründig, dass man dafür unbedingt studiert haben muss, wer einen Privathaushalt führt, kann sie auch selbst durchführen. Sie lauten erstens: Wenn es dauerhaft nicht rund läuft, muss sich strukturell etwas ändern. Zweitens: Viel Geld auf Pump auszugeben, ohne gleichzeitig zu sparen, wo es machbar und sinnvoll ist, ist ein schlechter Rat, denn dann droht die Überschuldung.
Wo es Einsparspotenzial gibt
Punkt eins ist ohne Zweifel extrem wichtig. Daher müssen CDU und SPD im Koalitionsvertrag unbedingt festschreiben, welche Strukturreformen in der kommenden Legislatur gelingen sollen. Bürokratieabbau ist sicherlich eine der wichtigsten. Der Konsens darüber ist in der Bevölkerung vorhanden, Widerstand dürften höchstens die Betroffenen liefern.
Punkt zwei ist ebenso wichtig, aber deutlich schwieriger umzusetzen. Denn hier geht es dem und der Einzelnen ans Geld. Auch hier haben die Ökonomen schon Sparvorschläge eingereicht. Im folgenden ein paar, über die man tatsächlich nachdenken sollte.
Mehrwertsteuer auf 20 Prozent erhöhen Erscheint auf den ersten Blick undenkbar, zumal unter Schwarz-Rot der Steuersatz für Gastronomen sogar auf dauerhaft sieben Prozent fallen soll (Gruß ans Touristenparadies Bayern!). Allerdings sagte CSU-Chef Markus Söder gerade bei „Carmen Miosga“ nur, er können sich eine Steuererhöhung „nicht vorstellen“, was wie ein butterweiches Dementi klingt. Die Mehrwertsteuer hat tatsächlich Luft nach oben: EU-weit liegt Deutschland mit seinem Standardsteuersatz von 19 Prozent gleich hinter Luxemburg und Malta auf einem sehr günstigen Rang drei. Ein Prozent rauf brächte rund 16 Milliarden Euro Mehreinnahmen im Jahr. Allerdings würde auch die Lebenshaltung teurer.Einen weiteren Feiertag streichen Eine Forderung, die unter anderem der Brüsseler Ökonom Guntram Wolff aufstellt. Durch die höhere Arbeitsleistung würde sich das Bruttosozialprodukt um 0,5 Prozent erhöhen. Tatsächlich ist die durchschnittliche Arbeitszeit in Deutschland im europäischen Vergleich mau. Das liegt erst einmal nicht an gesetzlichen Feiertagen, da ist die Bundesrepublik bescheiden: zehn sind es, die Slowakei hat als Tabellenführer 15. Dennoch könnte man zum Beispiel über den Pfingstmontag nachdenken (meint der Autor, ein Katholik), die Bedeutung des Festes kennt ohnehin kaum jemand mehr. Die in vielem vorbildliche Schweiz übrigens kommt mit nur vier Feiertagen gut aus.Falsche Subventionen abschaffen Das will die neue Koalition, beteuert sie jedenfalls. Leider traut sie sich an die Subventionen für fossile Energien offenbar nicht heran, auch wenn es dort viel zu holen gäbe. Der Internationale Währungsfonds (IWF) beziffert die klimaschädlichen Zuschüsse auf 70 Milliarden Euro pro Jahr. Allein die Steuerreduzierung von Dieselkraftstoff (Dieselprivileg) führt jährlich zu Steuerausfällen von rund 9,6 Milliarden Euro. Was machen die möglichen Koalitionäre: Bei ihnen sollen Bauern sogar wieder von der Rückkehr zur „vollständigen Agrardiesel-Rückvergütung“ profitieren; die kostet bis zu einer Milliarde Euro im Jahr. Pendlerpauschale und Dienstwagenprivileg beenden Für viele ist die Pendlerpauschale eine Einladung, für die Fahrt zur Arbeit den Pkw statt öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Das Kilometergeld kostet die Staatskasse jedes Jahr 5,3 Milliarden Euro. Diesen Betrag konnte man schon damit deutlich senken, indem man mit der Pendlerpauschale lenkend die Mobilitätswende fördert und sie nur Nutzern von Elektroautos zuspricht (klar, rechtlich nicht einfach). Diskutiert wird auch immer wieder das Dienstwagenprivileg. Es belastet den Haushalt mit jährlich 6,1 Milliarden Euro. Die SPD tendiert teils zur Einstellung, die CDU will das Privileg sichern, weil es angeblich für einen sozialen Ausgleich sorge.Elterngeld oder Ehegattensplitting streichen Für diese Idee hat Ifo-Chef Clemens Fuest viel Prügel eingesteckt. Elterngeld sei „nice to have“, sagte er, und stütze vor allem gut situierte Familien. Acht Milliarden Euro könnten pro Jahr gespart werden. Man kann über den Sinn des Elterngelds trefflich diskutieren; ob es der einzige sinnvolle Weg ist, junge Leute zum Elternwerden zu animieren – fraglich. Alternativ ließe sich das Ehegattensplitting abschaffen. Es kostet den Staat pro Jahr über 20 Milliarden Euro und benachteiligt laut OECD und Europäischer Kommission vor allem Frauen, weil es die klassische Alleinverdienerehe fördert. Allerdings: Weder bei der SPD noch der Union steht eine vollständige Abschaffung auf der Agenda.Renteneintrittsalter erhöhen Jedes Jahr schießt der Bund über 110 Milliarden Euro bei der Rente zu, weil die Einnahmen der Rentenkasse nicht ausreichen. Ökonomin Grimm fordert deshalb, den Eintritt ins Rentenalter nach hinten zu verschieben. Die CDU wäre dazu bereit, sie will das Renteneintrittsalter an die steigende Lebenserwartung anpassen. Die SPD lehnt eine Verschiebung kategorisch ab. Kurzfristig dürfte in der kommenden Legislaturperiode daran nicht gerüttelt werden.
Was folgt aus all den Überlegungen? Erstens: Allen Ökonomen-Warnungen zum Trotz darf sich Deutschland freuen, dass es zwei – empfindlich geschrumpfte – Volksparteien in Windeseile geschafft haben, für das lahme Land einen Kompromiss mit finanziellem Doppelwumms auszuarbeiten. Denn das zeigt erst einmal Mut, es nach der wirtschaftspolitischen Lethargie der Vergangenheit besser und nachhaltiger zu machen, ohne dabei immer nur auf die Berufskritiker zu hören. Schon deshalb verdient Schwarz-Rot einen Vertrauensvorschuss, auch von den Grünen. Der Preis ist hoch, sicher. Doch wir zahlen nun mal heute für das, was wir alle in den vergangenen zwanzig Jahren versäumt haben.
Zweitens: Wenn die gigantischen neuen Schulden wirklich zu kontrollierten Investitionen in Wachstum führen und von stringenten Sparmaßnahmen begleitet werden, damit die Zinsbelastung durch die hohen Kredite gedämpft wird, wird die kommende Generation von den Sondervermögen profitieren und nicht darunter leiden. Allein sparen würde dagegen nicht helfen. Wohlstand und gut gefüllte Staatskassen gibt es nur, wenn die Wirtschaft brummt und die Leute konsumieren. Zumindest in diesem Punkt sind sich die Ökonomen einig.