Bundestag: Gewinner ohne Mandat – Andere Wege in den Bundestag?
Aus Südhessen ziehen nur wenige als Abgeordnete in den Bundestag ein. Ein Wahlkreis geht völlig leer aus. Doch es gibt eine andere Idee. Und Zweifel, ob die funktioniert.
Investitionen in die Infrastruktur oder Fördermittel für Kultur: Geht es um Finanzmittel aus Bundestöpfen, sind bislang meist die Gewinner von Direktmandaten im Bundestag die Ansprechpartner für die Bürger in ihren Wahlkreisen.
Für das neue deutsche Parlament sieht es für einige Regionen nach der Wahlrechtsreform aber dünn aus bei der Repräsentation, zum Beispiel in Südhessen. Kommunalpolitiker fürchten, dass Projekte und Förderungen auf die lange Bank geschoben werden könnten. Jetzt steht ein neuer Vorschlag im Raum.
„Aus fünf macht eins“, hieß es beim Kreis Darmstadt-Dieburg jüngst zu den Vertretern im neuen Parlament. In den Bundestag zieht nur noch Patricia Lips von der CDU ein. Sie ist aber nur für 9 der 23 Kommunen im Kreis zuständig. Viele Städte gehören zum Wahlkreis Darmstadt und der geht wegen des neuen Wahlrechts leer aus. Die Gewinnerin des Wahlkreises, Astrid Mannes, erzielte im Vergleich zu anderen Gewinnern der CDU ein zu schlechtes Ergebnis.
Landrat sieht eine andere Möglichkeit
Der Landrat des Kreises Darmstadt-Dieburg, Klaus Peter Schellhaas (SPD), hat wegen der raren Vertretung deshalb die Idee eines Regionalbüros Südhessen ins Spiel gebracht. „Die könnte in der Hessischen Landesvertretung in Berlin angesiedelt werden.“ Es könne nicht sein, dass ein großer Teil Südhessens nach der Bundestagswahl abgehängt werde. Ganz Südhessen ist noch mit vier Abgeordneten vertreten.
Positive Reaktion auf die Idee
Ein Vorschlag, der bei Nachbarn auf offene Ohren stößt. Der Kreis Groß-Gerau habe mit Jörg Cezanne von der Linken noch einen Abgeordneten. Doch: „Jeder Fuß, den wir in Berlin in die Tür bekommen, ist erst einmal gut“, heißt es beim Kreis auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. Näheres müsse dann sicher noch geklärt werden. In der Vergangenheit seien über die Arbeit der Abgeordneten Mittel unter anderem für die Finanzen oder den Wohnungsbau aus Berlin geflossen.
„Der Oberbürgermeister begrüßt den Vorschlag des Landrats, sieht hier aber auch die Landesregierung in der Verantwortung, um ein solches Regionalbüro für Südhessen über die Hessische Landesvertretung einzurichten“, sagte der Sprecher der Stadt Darmstadt, Frank Horneff, zur Haltung von Oberbürgermeister Hanno Benz (SPD).
Benz nehme die Initiative zum Anlass, um auf die Landesregierung zuzugehen. Dass Darmstadt und Umgebung in Berlin künftig keine Stimme mehr haben, sei tatsächlich nicht hinnehmbar. Vom zuletzt direkt gewählten Abgeordneten seien nach dessen Angaben 53 Millionen Euro an Fördermitteln in den Wahlkreis geholt worden.
Auch die Sprecherin des Kreisverbandes der Grünen in Darmstadt, Hildegard Förster-Heldmann, begrüßte die Idee von Schellhaas. „Darmstadt und die Region brauchen eine Vertretung in Berlin“, teilt die Landtagsabgeordnete unlängst mit. Informationen kämen so schneller an und Ansprechpartner in Ministerien könnten zügig und direkt kontaktiert werden.
Kein sicheres Direktmandat für schlankeren Bundestag mehr
Nach dem früher gültigen Wahlrecht zogen die Gewinner eines Direktmandates in den Bundestag ein – es sind jene Kandidaten, für die Wähler sich mit ihrer Erststimme entscheiden. Nach dem neuen Wahlrecht bekommen siegreiche Wahlkreiskandidaten aber nur noch dann ein Mandat, wenn ihre Partei genügend Zweitstimmen hat. Dafür entfallen die früher üblichen Überhang- und Ausgleichsmandate. Künftig hat der Bundestag damit nur noch 630 Abgeordnete statt der 733 in der letzten Legislaturperiode.
In Hessen gleich fünf CDU-Politiker betroffen
„Dass direkt gewählte Bundestagskandidaten nicht in den Deutschen Bundestag einziehen dürfen, ist ein Unding“, hatte der hessische Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) nach der Wahl moniert, denn die Christdemokraten hat die neue Regelung hart betroffen. Unter den bundesweit 23 Gewinnern eines Wahlkreises, die wegen des neuen Wahlrechts dennoch nicht in den Bundestag einziehen dürfen, sind fünf Hessinnen und Hessen. Die CDU-Kandidaten Marcus Kretschmann (Groß-Gerau), Anna-Maria Bischof (Schwalm-Eder), Leopold Born (Frankfurt II), Astrid Mannes (Darmstadt) und Yannick Schwander (Frankfurt I) bekommen aufgrund der Reform keinen Platz im deutschen Parlament.
CDU-Landesgruppenchef: Begründete Sorgen
Der Chef der hessischen CDU-Landesgruppe im Bundestag, Michael Brand aus Fulda, hält die Sorgen der Südhessen wegen der mangelnden Repräsentanz im Bundestag für begründet. Als Netzwerker und Fürsprecher ihres Wahlkreises spielten direkt gewählte Abgeordnete eine wichtige Rolle etwa bei der Verteilung von Fördermitteln für kommunale Projekte. „Es ist nicht dasselbe, wenn jemand von außerhalb diese Interessen mit aufnimmt“, sagt er.
Jeder Bundestagsabgeordnete habe laut Grundgesetz die Verantwortung für ganz Deutschland. „Aber es ist natürlich eine besondere Motivation, die Interessen der eigenen Heimatregion besonders stark zu vertreten“, betont Brand, der seit 2005 für die Christdemokraten in deren osthessischen Hochburg Fulda den Wahlkreis gewonnen hat.
Vertreter der Interessen unabhängig von politischer Ausrichtung
Wahlkreisabgeordnete müssen nach seiner Ansicht gut und einfach ansprechbar sein, einen direkten Draht zu den Wählern zu haben und deren konkrete Anliegen aufnehmen. „Die Bürger im Wahlkreis erwarten zu Recht, dass man sich um ihre Anliegen kümmert, ohne auf politische Präferenz zu achten“, betont der 51-Jährige. Er sei zwar CDU-Abgeordneter, verstehe sich aber als Vertreter aller Bürger seines Wahlkreises in Berlin, völlig unabhängig von deren politischer Ausrichtung.