„Beklaute Frauen“: Drei Wissenschaftlerinnen ohne Nobelpreis
Was wäre die Wissenschaft ohne sie? Diese drei Frauen hätten einen Nobelpreis verdient, bekamen ihn aber nie.
Wissenschaftlerinnen, deren Entdeckungen im Schatten ihrer männlichen Kollegen verblassten, Autorinnen, die ihre Werke unter männlichen Pseudonymen veröffentlichten, oder Künstlerinnen, deren Namen im Schatten ihrer Ehemänner in Vergessenheit gerieten: Es gibt viele Frauen, deren Einfluss aus der Geschichte radiert wurde und für deren Leistungen Männer den Applaus erhielten. Historikerin Leonie Schöler erzählt in ihrem Buch „Beklaute Frauen“ (Penguin) ihre Geschichten.
Zum Internationalen Frauentag am 8. März blicken wir auf drei Frauen aus der Wissenschaft, denen die Menschheit bahnbrechende Entdeckungen zu verdanken hat, die aber nie mit einem Nobelpreis bedacht wurden – weil ihre Arbeit unterschätzt oder einfach gestohlen wurde.
Rosalind Franklin
„Gut. Nassfoto“, vermerkte die Biochemikerin Dr. Rosalind Franklin (1920-1958) am 2. Mai 1952 auf einer sauberen Röntgenaufnahme, die endlich letzte Hinweise zur Entschlüsselung der DNA bringen sollte. Knapp 100 Kilometer entfernt von Franklins Labor im King’s College London forschten an der Universität Cambridge zeitgleich zwei Männer, James Watson und Francis Crick, am selben Problem, scheiterten jedoch immer wieder mit ihren Modellen aus Pappe, Drähten und Plastikkügelchen.
Zehn Jahre später wurden jene beiden Männer gemeinsam mit dem Physiker Maurice Wilkins „für ihre Entdeckungen über die Molekularstruktur der Nukleinsäuren und ihre Bedeutung für die Informationsübertragung in lebender Substanz“ mit dem Nobelpreis in der Kategorie Medizin ausgezeichnet.
1968 beschrieb James Watson in seiner Autobiografie unverblümt, wie ihm und Francis Crick der Durchbruch mit ihrer Forschung gelang, indem sie sich mithilfe von Maurice Wilkins heimlich durch Rosalind Franklins Unterlagen wühlten, diese weitergaben, von ihr erhobene Daten klauten und als ihre eigenen ausgaben. An der jungen Wissenschaftlerin Rosalind Franklin ließ er in seiner Erzählung zudem kein gutes Haar.
„Sie war das Opfer einer Intrige, die auf Neid und Vorurteilen gegenüber Frauen in der Wissenschaft beruhte“, schreibt Leonie Schöler in „Beklaute Frauen“. Wie gründlich und erfolgreich Franklin gearbeitet habe und wie revolutionär ihre Entdeckung war, spiele keine Rolle: „Sie wurde von ihren Kollegen primär als Frau gesehen und bewertet und hatte gegen die sich gegen sie eingeschworene Männerbünde keine Chance.“
Lise Meitner
Die österreichisch-schwedische Physikerin Lise Meitner (1978-1968) war maßgeblich an der Entdeckung der Kernspaltung beteiligt, eine der wichtigsten Entdeckungen des 20. Jahrhunderts. Gemeinsam mit Otto Hahn entdeckte sie, dass das Atom von Uran bei der Neutronenbombardierung in kleinere Atome zerfällt, was die Grundlage für die Entwicklung der Kernenergie und der Atomwaffen bildete. Doch obwohl Meitner die entscheidende theoretische Arbeit leistete, erhielt Hahn 1944 den Nobelpreis für Chemie.
Denn Meitner war nicht nur eine Frau, sie war auch Jüdin, und floh 1938 aus Berlin nach Schweden. Dort versuchte sie, ihre in Deutschland begonnene Forschung bestmöglich fortzusetzen und korrespondierte rege mit ihrem Freund und Kollegen Otto Hahn. 1939 lieferte Meitner die entscheidende Erklärung für die Entdeckung Hahns. Im selben Jahr und dann nochmal 1940 und 1943 wurden die beiden für den Nobelpreis in Chemie vorgeschlagen. 1945 kam das zuständige Komitee auf die Idee, Otto Hahn rückwirkend für 1944 auszuzeichnen – allerdings nur ihn allein.
Die Gründe dafür sind eine Kombination aus politischen und gesellschaftlichen Faktoren. In Nazi-Deutschland konnte Otto Hahn seine Ergebnisse nicht mit einer jüdischen Kollegin veröffentlichen. Zudem beeinflussten politische Interessen die Entscheidung des Nobelkomitees. Mitte der 1990er Jahre wurde durch Dokumente klar, aus welchen Gründen Lise Meitner den Nobelpreis für die theoretische Deutung der Kernspaltung nicht erhielt: Vorurteile und Fehleinschätzungen über Meitners Rolle in der Entdeckung, unterstützt durch fehlerhafte Gutachten des schwedischen Physikers Erik Hulthén, führten zum Ausschluss.
„So erhielt Lise Meitner nie den Nobelpreis, nicht 1945 und auch nicht danach. Nicht als Wissenschaftlicher, aber vor allem nicht als Frau, nicht als Jüdin, nicht als politisch Verfolgte“, schreibt Leonie Schöler. „Ihre Identität und ihre Start- und Rahmenbedingungen wurden in den Gutachten komplett ignoriert – gleichzeitig waren sie die zentralen Faktoren für das Ergebnis.“
Jocelyn Bell Burnell
Die britische Astrophysikerin Jocelyn Bell Burnell (81) machte 1967 als Doktorandin an der Universität von Cambridge eine der bedeutendsten Entdeckungen der Astronomie: die erste Entdeckung eines Pulsars. Ihre Befunde legte sie ihrem Doktorvater Antony Hewish vor. Der veröffentlichte die Funde im Fachjournal „Nature“. Die Presse klopfte an, wollte Interviews über den Sensationsfund führen. „Hewish wurde über die astrophysische Bedeutung befragt, Jocelyn Bell Burnell zu ihrem Hüftumfang, ihrer Körbchengröße und wie viele Freunde sie schon gehabt habe“, schreibt Leonie Schöler. „Für die Pressefotos wurde sie gebeten, doch bitte ihre Bluse weiter aufzuknöpfen.“
1974 wurde der Nobelpreis für Physik für die Entdeckung der Pulsare vergeben – an Antony Hewish und Martin Ryle, dessen Radioteleskop zum Einsatz gekommen war. Hewish wurde offiziell für „seine entscheidende Rolle bei der Entdeckung von Pulsaren“ geehrt – eine Formulierung, die den Fakt, dass er sie gar nicht selbst entdeckte, sondern nur theoretisch eingeordnet hat, gekonnt umschifft. Antony Hewish erwähnte Bell Burnell nicht nur nicht in seiner Dankesrede und teilte sein Preisgeld nicht mit ihr, sondern zeigte sich sogar öffentlich unglücklich darüber, dass immer wieder nach ihr gefragt wurde.
1993 nahm Jocelyn Bell Brunell doch noch an einer Nobelpreis-Zeremonie teil: Als der US-Astrophysiker Joseph Taylor und sein Doktorand Russell Hulse ebenfalls für die Entdeckung eines Pulsars ausgezeichnet wurden – der Doktorand hatte die Entdeckung gemacht, der Professor interpretierte sie. Um Bell Burnells Leistungen rückblickend zu würdigen, lud Taylor die Wissenschaftlerin zur Zeremonie ein. „So saß zum Schluss doch noch eine der Frauen, die den Nobelpreis nie bekamen, im Goldenen Saal des Stockholmer Rathauses, unter den funkelnden Augen der Königin des Mälarsees, die viele würdige Männer gesehen hatte, aber viel zu wenig würdige Frauen“, schreibt Schöler.