Jens Harzer & Marina Galic: jens Harzer und Marina Galic: Hamburgs großes Theaterpaar verabschiedet sich mit grandioser Scheiße
Jens Harzer und Marina Galic gelten als Traumpaar des Hamburger Theaters. Nun wechseln beide nach Berlin und liefern zum Abschied ein Bravourstück der Schauspielkunst
Auf dem Weg ins Thalia Theater konnte man als Premierengast eine Art Prolog zum Stück dieses Abends auf seinem Smartphone verfolgen. Das absurde Drama „Ubu“ handelt schließlich von einem primitiven polternden Parvenue, den man in seiner ganzen Grässlichkeit als amüsantes Phänomen bestaunt, während dieser im rauschaften Exzess die Weltordnung niederreißt. Wie soll man so eine Geschichte als Groteske auf einer Bühne erzählen, währenddessen Donald J. Trump und J. D. Vance breitbeinig im Weißen Haus hocken und vor den Augen der entsetzten Weltöffentlichkeit den ukrainischen Präsidenten Wolodomyr Selenski verhöhnen, niederbrüllen und genau dies tun.
© Armin Smailovic/Thalia Theater
Dadaismus aus dem 19. Jahrhundert, aktuell wie nie
Es ist kaum zu glauben, dass der französische Dramatiker Alfred Jarry dieses Stück im Jahre 1896 auf der Basis eines Schülerulks als 23-jähriger geschrieben hat. Welche Wirkung es auf das damalige Premierenpublikum gehabt hat, ist schwer nachzuempfinden. Natürlich war es ein Skandal, doch seitdem funktioniert es für jede politisch brisante Epoche von neuem als Zerrspiegel von Despotie, Machtrauch und Gewissenlosigkeit. „Wir verändern die Gesetze, wir bauen die Justiz um!“, heißt es da. „Los, los, alle, alle alle in die Versenkung! Zach zack, zack. Weiter! Größer! Mehr!“
Für all jene, die noch rätseln, wie man die aktuell heraufdräuenden Staatsformen der Kettensägen-Politiker am trefflichsten nennen möge, bekommt 129 Jahre nach der Uraufführung des Ubu den idealen Begriff geliefert: Idiokratie. „Ist das schlechte Recht nicht ebenso recht wie das gute“, fragt Ubu.
Ähnlichkeiten zu Ubu sind unbeabsichtigt, und doch kaum zu übersehen: Donald Trump inszeniert sich als König
© IMAGO/Vuk Valcic
Jens Harzer und Marina Galic zeigen Spielwut
Regisseur Johan Simons ist es zu verdanken, dass die aktuellen Parallelen zur Weltlage nicht offensichtlich zitiert oder verdeutlicht werden. Es reicht den „König Ubu“ im Jahr 2025 am Hamburger Thalia Theater als jenes blutrünstige Kasperletheater zu zeigen, als das es ursprünglich erdacht war. Das funktioniert vornehmlich deshalb, weil das kongeniale Traumpaar des deutschen Theaters die Titelrollen übernommen hat. Das Ehepaar Ubu ist eine geniale Persiflage auf König und Lady Macbeth, und deren Wiedergänger als dummer August und Weißclown. Simons setzt seinen wohlerprobten Kunstgriff ein, die Geschlechterrollen umzukehren. Marina Galic gibt einen wunderbar verschlagenen Ubu, der optisch und auch aufgrund seiner lächerlichen Hybris an Johnny Depps Piratenkönig erinnert, Jens Harzer liefert eine kreischende Travestie der bösen Einflüsterin, die mit den herrlichsten Schimpfwortkanonen um sich ballert: „Wer hat Dir ins Gehirn geschissen, Du Hoden-Kobold?“ kreischt Madame Ubu, und: „Hurra Horn zack Arsch Loch! Vatter Ubu lebe hoch!“ Und immer wieder: „Scheiße, Schreiße, Schoize!“
Mehr Kunstperformance, als klassisches Stück
Das Bühnenbild der Uraufführung war vom Pariser Salonkünstler Henri de Toulouse-Lautrec gestaltet worden, am Thalia hat der Regisseur selbst Hand angelegt und seine Bühne als Kunstinstallation angelegt. In der Mitte einer Manege steht eine Art Kaba, ein schwarzer Kubus in dessen Innenraum sich ein Großteil der Handlung ereignet, und die auf eine in drei Teile zerborstene Leinwand auf der Bühne aus verschiedenen Perspektiven übertragen wird. Das passt auch insofern perfekt, wirkt der Abend streckenweise mehr als Kunstperformance, denn als klassisches Stück. Aufnahmen von im Zeitraffer verwesenden Hasen erinnern an die Bühnenästhetik Christoph Schlingensiefs, das Wühlen, Schlecken und Schmieren von Gedärmen, Kot und Blut an die Performances der Wiener Aktionisten von Günther Brus über Rudolf Schwarzkogler bis Hermann Nitsch.
Blutrünstiges Inferno und Totentanz
Der Abend ist auch deshalb ein besonderer, weil es die letzte Premiere dieser beiden herausragenden Ensemblemitglieder des Thalia-Theaters ist, die auch privat ein Ehepaar sind. Ihre rasende Spielwut trägt das Stück, beider Vertrautheit lässt die Charaktere verschwimmen, ineinander rinnen, die Ubus sind dann eine einheitliche bösartige Kraft. Noch einmal zeigen die beiden, wie sehr ihre Art zu spielen, ob als individuelle Bühnengrößen aber eben auch oft als Duo, 15 Jahre Theater geprägt haben. „Für mich war klar, dass man nach so einer langen Zeit das Haus verlassen sollte“, sagt Harzer dem NDR. „Das war ein ganz wichtiger Impuls.“ Es ist schon seit längerem kein Geheimnis, dass der 52-jährige Bühnenstar nach neuen Aufgaben strebt. Er habe den Eindruck seine wichtigeren Bühnenarbeiten nicht an seinem Stammhaus, sondern an der zweiten Wirkungsstätte in Bochum abgeliefert zu haben – dort wo Johan Simons Intendant ist. Beide wechseln nun ans Berliner Ensemble, wo Oliver Reese seit 2017 als Intendant ein Kraftzentrum der Schauspielkunst errichtet hat. Der Stadt Hamburg bleiben die beiden dennoch verbunden, sie wollen weiterhin hier ihren Lebensmittelpunkt behalten.
Zum Ende wirkt das Publikum ratlos
So großartig die beiden auch durch das etwa zweistündige Stück toben, bleibt ihnen das große Meisterstück zum Abschied verwehrt. Johan Simons hat sich entschlossen, nicht bloß das Hauptstück „Ubu Roi“ auf die Bühne zu bringen, er verquickt es mit anderen Stücken Alfred Jarrys in denen die Ubus eine Rolle spielen. Es ist auch allzu verlockend, schließlich liefert er mit der „Pataphysik“, in der Ubu einen Doktortitel trägt, eine Art Urmodell jeglicher Form von alternativen Pseudowissenschaften und der hohen Kunst des Geschwurbels. Es kommen Motive aus „Ubu in Ketten“ oder „Ubu Cocu“ hinzu, in dem sich das Herrscherpaar in eine Sklavenrolle begibt, die zusammen mit drei reichlich spät hinzugekommenen Nebendarstellern zu einer SM-Party entarten.
Spätestens hier verliert Simons sein Publikum. Das Stück verliert plötzlich an Fahrt, ohne aber dafür jene Poesie aufzubauen, die der Ubu.Kosmos auch leisten kann. Die Hamburger sind mit großen Erwartungen und unendlich viel Gunst gekommen. Man spürt geradezu, dass sie hier sind, um diesen Abend und seine Protagonisten zu feiern. Doch in den letzten 30 Minuten macht sich vornehmlich Ratlosigkeit breit. Alfred Jarry hatte zeitlebens betont, dass die Ubu-Stücke nicht zusammenhängen, und das merkt man leider auch.
Der Applaus fällt trotzdem tosend aus, auch zu Recht. Er gilt einem bravourösen Paar und seiner Gesamtleistung, an diesem und an vielen Abenden zuvor.