Stilkritik: Die nackte Bianca Censori: Ist das Mode, oder kann das weg?
Was soll das? Und was sollen wir davon halten? Bianca Censori, Ehefrau des Rappers Kanye West, kam zu den Grammys in einem Hauch von nichts.
Fragen über Fragen. Oh, so viele Fragen. Da spazierte Rapper Kanye West – vielen von uns vor allem als Ex-Mann von Kim Kardashian bekannt – bei den diesjährigen Grammys mit seiner aktuellen Frau über den roten Teppich. Bianca Censori, 30, gebürtige Australierin, Architektin. Wests Angetraute seit 2022. Und nicht zum ersten Mal erschien die stattliche Brünette … so gut wie nackt. Aber so nackt zu einem so medienwirksamen Anlass – das ist neu. Nur ein Hauch fleischfarbene Gauze schien ihren Torso zu verhüllen. Also, nicht zu verhüllen. Gar nichts wird da verhüllt.
Die erste Frage, die die Kolleginnen und Kollegen in der Redaktion dazu hatten: Soll das Provokation sein? Und wenn ja: Funktioniert das überhaupt noch, in Zeiten, in denen Nacktheit doch quasi allgegenwärtig ist? Dazu wäre direkt zu sagen: In den USA ist Nacktheit nicht allgegenwärtig. Dort bekommt man die Fotos von Frau Censoris „Outfit“ auch nur gepixelt oder mit schwarzen Balken zu sehen. Nackte Brüste sind in der dortigen Gesellschaft nicht vorrangig etwas, das Kinder ernährt, sondern etwas, das Kinder verdirbt. Na klar funktioniert diese Provokation dort.
Kanye West Bianca Censori 12.23
Kann Bianca Censori noch jemanden schocken?
Aber sind wir so viel besser? Gut, vielleicht hat mal jemand Urlaub am FKK-Strand gemacht oder sich im Freibad ohne Bikini-Top gesonnt. Aber sonst? Der nackte weibliche Körper wird auch in Deutschland vorrangig in abgesonderten medialen Bereichen und fast ausschließlich für den männlichen Blick gezeigt. Pornhub oder Onlyfans lassen grüßen.
Nackte Frauen auf Werbeplakaten und Magazincovern waren in den 90ern noch Usus, heute kaum mehr denkbar. Aus sehr guten Gründen – aber so verschwand der unbekleidete Frauenkörper eben auch in die Schmuddelecke. In Ausnahmefällen kommt dann jemand wie Micaela Schäfer vorbei und reckt neckisch ihre sekundären Geschlechtsmerkmale in die Kamera. Wenn sonst nichts Aufmerksamkeit bringt, dann zuverlässig immer noch das.
FS Grammys roter Teppich 11.01
Wie entspannt sind wir mit Nacktheit?
Ein Blick auf die Traffic-Zahlen der stern-Website bestätigt, dass Kanye und seine Bianca auch bei den deutschen Leserinnen und Lesern auf massives Interesse stoßen. Damit wären diese ersten Fragen wohl zufriedenstellend beantwortet: Funktioniert das? Juckt das noch irgendwen? Holla, die Waldfee – ja, und wie!
Viel wichtiger allerdings sind meiner Meinung nach ganz andere Fragen: Was soll das? Macht Frau Censori das wirklich freiwillig? Warum sieht sie dann immer so fürchterlich melancholisch aus? Warum darf Kanye so viel Kleidung tragen, inklusive dunkler Sonnenbrille? Ist das die vollständige Befreiung der Frau und ihres Körpers oder das komplette Gegenteil? Ist das bewundernswertes Selbstbewusstsein – oder das komplette Gegenteil?
Viele dieser Fragen lassen sich vermutlich mit einem kopfschüttelnden „hochgradig ungesunde Beziehung“ beantworten. Das lässt sich ja schon daran erkennen, dass die 30-Jährige im Laufe der Beziehung zu West immer mehr Ähnlichkeit mit dessen Ex Kim Kardashian angenommen hat. Anders als über diese scheint er über Censori aber mehr Kontrolle zu haben – und genau das könnte deren oft spärliche Bekleidung ausdrücken. Kanye, der ja auch selbsternannter Mode-Designer ist, dürfte ein entscheidendes Wörtchen bei der Klamottenwahl seiner Frau mitzureden haben. Das war ja schon bei Kim K. seinerzeit der Fall, wie diese freimütig berichtete.
STERN PAID Micaela Schäfer 20h
Freiwillig nackt, oder manipuliert?
Nein, befreiend und selbstbewusst wäre es, wenn Bianca Censori in diesem Outfit, aber ohne Kanye West den roten Teppich beschritten hätte. Oder mit einem Kanye West, der seinerseits nur einen durchsichtigen Lendenschurz trägt (bitte entschuldigen Sie diese Vorstellung und denken Sie nun an Einhörner und Regenbögen. EINHÖRNER UND REGENBÖGEN!) Die Grammy-Fotos aber zeigen einen selbstzufriedenen Typen, der sich selbst hinter einer Sonnenbrille versteckt und den Kameras der Welt seine nackte, junge Ehefrau präsentiert. Beziehungsweise: deren Körper. Noch nie hat man West öffentlich über Censoris Charakter sprechen hören, über ihre Talente oder Interessen.
Und vielleicht ist damit alles gesagt. Oder – Halt –, vielleicht könnte man hier noch alle Omas dieser Welt zitieren: „Mädchen, zieh dir was an, du holst dir doch so ’nen Schnupfen!“
