Pressestimmen: „Sollte die AfD an die Macht kommen, wird man sagen: Da hat es angefangen“
Der Bundestag hat den Antrag der Union zur Migrationspolitik angenommen – mit Unterstützung der AfD. Ein historischer Vorgang, kommentiert die Presse.
Es ist ein politisches Novum: Erstmals wurde im Bundestag ein Antrag mit den Stimmen der AfD-Fraktion angenommen. Nach einer hitzigen Debatte stimmte eine knappe Mehrheit für den Antrag der CDU/CSU zur Migrationspolitik. Grüne und SPD reagierten entsetzt auf das Ergebnis. Auch die Presse erkennt in der Bundestagsabstimmung einen historische Zäsur.
So kommentieren Medien die Abstimmung im Bundestag
„Kölner Stadt-Anzeiger“: „Die Anträge der Union dienen also vor allem dazu, das eigene Profil zu schärfen. Dafür nimmt man einen Schulterschluss mit der AfD in Kauf. Dieser Preis ist zu hoch. Für die Bewältigung der Probleme ist nichts gewonnen, wohingegen die AfD einen politischen Sieg und einen Schritt hin zur Normalisierung in der politischen Landschaft feiern kann. Freilich ohne dabei ’normal‘ zu werden – im Sinne von demokratisch verlässlich. Sollte die AfD in Deutschland eines Tages an die Macht kommen, wird man sich an diesen Januartag 2025 erinnern und sagen: Da hat es angefangen.“Liveblog Bundestag + Regierungserklärung
„Neue Zürcher Zeitung“: Der überzogene Ton der Anfeindungen gegen den CDU/CSU-Kanzlerkandidaten Merz hat möglicherweise auch mit der großen Verbitterung sowohl des Bundeskanzlers Olaf Scholz als auch des grünen Vizekanzlers Robert Habeck zu tun. Scholz steht vor dem politischen Nichts, denn einer „Großen Koalition“, in der die SPD nur mehr der Juniorpartner wäre, würde er auf keinen Fall angehören. Robert Habeck weiß, dass es nach der von Merz angestoßenen Asyl-Initiative mehr als schwierig wird, die Grünen noch zu einer möglichen Zusammenarbeit mit dem Tabubrecher zu bewegen. So finden sich die beiden starken Männer der kulturellen Linken, die Merz gern als Ewiggestrigen apostrophierten, plötzlich als die Politiker von gestern wieder.“
Schlägt Merz Lösung vor, die er nicht umsetzen kann?
„Tages-Anzeiger“ (Schweiz): „Sicher ist, dass Merz das Thema Asyl und sich selbst damit ins Zentrum des Wahlkampfs gerückt hat. Er hofft, auf diesem Weg zu verhindern, dass seine Partei Stimmen an die AfD verliert. Gleichzeitig läuft er Gefahr, Wählerinnen in der Mitte zu verschrecken, die mit der AfD nichts zu tun haben wollen. Merz spielt in jedem Fall Poker mit sehr hohem politischem Risiko. Er setzt darauf, dass viele Deutsche die Nase voll haben von der bisherigen Migrationspolitik und seinen Vorstoß deswegen begrüßen, AfD hin oder her.
„Die Presse“ (Österreich): „Merz geht mit seinem Konzept ein Risiko ein. Indem er zwei Anträge und eine Gesetzesänderung noch vor der Wahl im Bundestag einbringt, zementiert er seine Position. Die Chance ist groß, dass Merz eine Lösung vorschlägt, die er gar nicht umsetzen kann. Und für die deutsche Bevölkerung würde sich wenig ändern. Außer Merz macht es wie die Österreicher und reißt die Brandmauer nach Rechtsaußen doch noch ein. Dann hätte Europa seine politische Mitte verloren.“
PAID Kommentar: Scholz und die Regierungserklärung
„Augsburger Allgemeine“: „Was, wenn der Kurswechsel von Gerichten kassiert wird? Was, wenn sich nach der Wahl keine Partner finden, um aus der Symbolpolitik von heute Gesetze von morgen zu machen? Was, wenn große Worte doch nur für kleine Taten reichen? Dann hat sich Merz verzockt. Dann hat es sich nicht gelohnt, der AfD eine Türe zu öffnen. Dann werden sich noch mehr Menschen enttäuscht abwenden.“
„Stuttgarter Nachrichten“: „Mit der Ansage, es sei ihm egal, ob für seinen Antrag zur Migrationspolitik eine Mehrheit auch mit Stimmen der AfD zusammenkomme, hat Friedrich Merz ein Tabu gebrochen. Dass diese Mehrheit nun zustande gekommen ist, wird dauerhaft Spuren im politischen System hinterlassen. Die Republik hat sich an diesem Tag derart verändert, dass sich Historiker noch damit beschäftigen dürften. Wer die Tür zur Zusammenarbeit nur einen Spalt weit aufmacht, muss befürchten, dass sie irgendwann kraftvoll aufgestoßen wird. Die in Teilen rechtsextreme AfD konnte sich nie so mächtig fühlen. Das hat dauerhaft politische Folgen – nicht nur für Menschen mit Migrationshintergrund.“Fotostrecke Friedrich Merz
„Reutlinger General-Anzeiger“: „Am Freitag geht es in die zweite Runde, wenn es um einen Gesetzentwurf geht. Entscheidend aber wird sein, wie sich Merz’ riskantes Spiel mit der AfD auf die Bundestagswahl auswirkt. Aber da stehen die Zeichen für die CDU gar nicht so schlecht. Immerhin die Hälfte der Menschen in Deutschland hält nach Umfragen eine Zusammenarbeit mit der AfD für akzeptabel.“
„Rhein-Neckar-Zeitung“: „Was hat Merz erreicht? Mit der AfD will er nicht koalieren. Ohne sie muss er aber auf SPD oder Grüne (oder beide) nach der Bundestagswahl zugehen. Er muss also mit denen regieren, die er an diesem Mittwoch im Bundestag vorführte. (…) Die Abstimmung war alleine dem Wahlkampf geschuldet. Würde dahinter ein politisches Konzept stehen, dann hätte der (zumindest nach außen) siegesgewisse Merz bis nach der Wahl, bis zu den Koalitionsverhandlungen warten müssen, um dann Fakten zu schaffen.“
„Rhein-Zeitung“: „Warum Merz diese Anträge derart ungestüm in den Bundestag gebracht hat, ist nicht zu verstehen. Er hat damit eine ganz andere Debatte eröffnet, nämlich die, wie weit Demokraten die Hand nach rechts ausstrecken dürfen. Warum hat er, der Kanzler werden will, nicht vorher den Kontakt zu den demokratischen Fraktionen gesucht? Hätte, unter Führung der Union, es eine gemeinsame Abstimmung zu Verschärfungen gegeben – er wäre als Staatsmann vom Platz gegangen.“