Cum-Ex-Affäre : Wie sich Olaf Scholz durch 36 Fragen schummelt
Erneut geht es im Bundestag um die Rolle von Olaf Scholz in der sogenannten Cum-Ex-Affäre. Derweil trickst die Bundesregierung – sogar in einem offiziellen Schriftstück.
Mitte Januar sitzt Olaf Scholz in einem Raum irgendwo in Lübeck und die zwei „heute-show“-Spaßreporter, Lutz van der Horst und Fabian Köster, grinsen ihm aus ihren Jeanshemden ins Gesicht. Ein exklusives Kanzler-Interview mit der ZDF-Satireshow, um vielleicht doch noch wiedergewählt zu werden – dafür macht sogar Scholz auf lustig.
Bereits nach zwei Minuten vergeht dem Kanzler das Lachen. Thema ist sein löchriges Gedächtnis in der Cum-Ex-Affäre. Scholz kann sich bekanntermaßen nicht mehr an seine Treffen mit den Mitinhabern der Warburg-Bank erinnern, was ihm die wenigsten glauben wollen und stattdessen politische Einflussnahme wittern. Das hat Scholz schon tausend Mal gehört – und tausend Mal wegmoderiert.
Scholz setzt also an: „Es ist ja schön, dass Sie sich jetzt durch die vielen Tausend Akten durchgelesen haben, die jetzt Untersuchungsausschüsse betrachtet haben, wo rausgekommen ist: Null Komma Null …“
„… Erinnerung!“, witzelt Fabian Köster.
„Null Komma Null …“, versucht es Scholz noch mal.
„… Erinnerung!“, ruft Köster abermals dazwischen.
„… Beeinflussung“, sagt Scholz.
Es ist die Geschichte, die Olaf Scholz und seine Genossen jedem erzählen, wenn es darum geht, warum Hamburg in einer spektakulären Kehrtwende auf eine Steuerrückforderung von 47 Millionen Euro von der Warburg-Bank wegen illegaler Cum-Ex-Geschäfte im Jahr 2016 verzichtete, als Olaf Scholz noch Bürgermeister der Stadt war.
Keine. Politische. Einflussnahme. So lautet das Mantra der SPD. Belegt unter anderem durch den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Hamburg. Das schreibt die Bundesregierung dieser Tage auch in einer Antwort auf eine Große Anfrage von CDU und CSU zum Thema Cum-Ex und Olaf Scholz, die dem stern vorliegt. Die Antworten der Regierung sind bemerkenswert und dürften an diesem Donnerstag für hitzige Diskussionen sorgen. 68 Minuten sind für die Debatte rund um die Affäre dafür angesetzt.
Cum Ex: Fünf Zeugen gehen von einer politischen Einflussnahme aus
Denn die Bundesregierung trickst bei der Beantwortung der 36 Fragen. So wollte die Union zum Beispiel von der Bundesregierung wissen, ob der Kanzler der Öffentlichkeit, den Abgeordneten des Deutschen Bundestages und denen der Hamburgischen Bürgerschaft die Wahrheit zu seiner Rolle im Cum-Ex-Skandal gesagt hat.
Die Bundesregierung antwortet: „Der Bundeskanzler hat die Abgeordneten selbstverständlich wahrheitsgemäß informiert. Das zeigt sich auch daran, dass seine Aussage, dass es in dem Steuerverfahren keine politische Einflussnahme gegeben habe, laut Zwischenbericht des PUA (Anm. Parlamentarischer Untersuchungsausschuss) von allen Zeuginnen und Zeugen bestätigt worden ist.“
Wirklich von allen Zeugen?
Der stern hat alle Aussagen der insgesamt 105 Zeugen im Untersuchungsausschuss analysiert. Demnach verneinten lediglich 26 von ihnen eine politische Einflussnahme, also gerade einmal ein Viertel der Befragten. Darunter Olaf Scholz, Peter Tschentscher, Scholz‘ Amtsnachfolger als Erster Bürgermeister von Hamburg sowie Finanzsenator Andreas Dressel und enge Gefolgsleute und Freunde von Scholz wie Christoph Krupp, einst Staatsrat in Hamburg und später von Scholz zum Vorstandschef der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben befördert. Also überwiegend Personen, die von der Opposition in Betracht gezogen werden, von politischer Einflussnahme auf die millionenschwere Steuerentscheidung zu Lasten der Stadt Kenntnis gehabt oder gar daran beteiligt gewesen zu sein.
39 Zeugen hatten keine Ahnung, ob es zu einer Beeinflussung gekommen ist oder nicht. Und fünf Zeugen gehen sehr wohl von einer politischen Einflussnahme aus. Darunter befindet sich Michael Sell, einst oberster Steuerchef im Bundesfinanzministerium, bis ihn Olaf Scholz im August 2018 in vorzeitigen Ruhestand schickte. Sowie ein Mitarbeiter der Hamburger Finanzverwaltung, der direkt mit dem Cum-Ex-Verfahren der Warburg-Bank befasst war.
Der Rest der Zeugen, immerhin 35 Prozent, wurde gar nicht erst zu einer möglichen politischen Einflussnahme befragt, weil sich offenbar niemand einen Erkenntnisgewinn von ihnen versprach. Außerdem wurden mit Johannes Kahrs und Alfons Pawelzcyk zwei Zeugen, die eine zentrale Rolle in dem Komplex spielen, gar nicht erst vernommen. Kahrs hatte erst letzte Woche über seinen Anwalt auf sein Aussageverweigerungsrecht gepocht, das weiterhin gelte, obwohl die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen ihn wegen Beihilfe zu schwerer Steuerhinterziehung im Dezember 2024 eingestellt hat.
„Die Ex-Ampel ist abermals echte Antworten zum Steuerskandal Scholz/Warburg schuldig geblieben“
Aus den vorliegenden Erkenntnissen also abzuleiten, es hätte keine politische Einflussnahme gegeben, ist eine Falschbehauptung, mindestens aber grob irreführend. Dabei ist die Große Anfrage eines der schärfsten Schwerter der Opposition. Die Bundesregierung muss die ihr gestellten Fragen wahrheitsgemäß und grundsätzlich vollständig beantworten.
„Die Ex-Ampel ist abermals echte Antworten zum Steuerskandal Scholz/Warburg schuldig geblieben“, sagt Mathias Middelberg, Vizechef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und einer der Initiatoren der Anfrage. „Im Gegenteil: Sie hat sich richtig viel Mühe gegeben, eine korrekte Beantwortung zu umgehen, indem sie keine vollständigen Antworten liefert, Sachverhalte verdreht oder durch unzählige Verweise auf frühere Antworten Nebelkerzen zündet.“
730.000 E-Mails von Scholz, anderen Politikern und Beamten
Eine weitere Unwahrheit, die auch unmittelbar Recherchen des stern betrifft: Die Union verweist in ihrer Großen Anfrage darauf, dass der ehemalige Leiter des Arbeitsstabs des Parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Hamburg, Steffen Jänicke, die Arbeit der Parlamentarier sabotierte. Der SPD-Mann hatte zentrales Beweismaterial verschwinden lassen. Es handelte sich dabei um zwei Laptops mit mehr als 730.000 E-Mails aus einem elektronischen Postfach von Olaf Scholz, den Accounts seiner Büroleiterin und von Peter Tschentscher sowie von vielen Spitzenbeamten aus der Hamburger Finanzverwaltung und dem Bundesfinanzministerium. Der stern hatte dies aufgedeckt.
Die Bundesregierung weist den Vorwurf der Sabotage zurück. Dafür bemüht sie einen bemerkenswerten Zeugen. Mathias Petersen, der heutige Leiter des Untersuchungsausschusses in Hamburg und ebenfalls SPD-Politiker. Dieser habe laut Bundesregierung die Berichterstattung des stern als „völligen Blödsinn“ zurückgewiesen. Weiter heißt es: „Die betroffenen Laptops seien lediglich sicher verwahrt worden bis zur Klärung der Frage, was mit den großen Datenmengen zu geschehen habe, die nicht mit dem Untersuchungsgegenstand zusammenhingen“. Eine längst widerlegte Behauptung. Bereits im November 2023 hatte der stern in einem weiteren Bericht enthüllt, wie Jänicke im Zusammenspiel mit SPD-Politikern aus dem Ausschuss dafür sorgte, dass die Opposition zunächst keinen Zugang zu den Beweismitteln hatte.
„So etwas passiert – jedenfalls in Hamburg – nur äußerst selten“
Chefaufklärer Steffen Jänicke versuchte mithilfe eidesstattlicher Erklärungen anderer SPD-Politiker, darunter Mathias Petersen, gegen die stern-Berichterstattung juristisch vorzugehen – und scheiterte vor Gericht. Mit seinem Vorgehen habe er dafür gesorgt, dass die „Arbeit des Arbeitsstabes“ mit den E-Mails „ausgesetzt“ wurde, urteilte das Landgericht. Jänicke legte gegen das Urteil zunächst Berufung ein. Mangels Chancen auf Erfolg riet ihm das Gericht dringend davon ab. „So etwas passiert – jedenfalls in Hamburg – nur äußerst selten“, schrieb damals Rechtsanwalt Oliver Srocke, der den stern gegen Jänicke vertrat. Drei Tage später nahm Jänicke seine Berufung vor dem Oberlandesgericht zurück.
Zurück nach Lübeck. Dort wird Olaf Scholz von Fabian Köster noch mit seiner Aussage vor einigen Wochen konfrontiert, „Fritze Merz“ erzähle „Tünkram“.
Der CDU-Chef habe die Unwahrheit gesagt, leitet der Kanzler ein. „Und damit das nicht so hart klingt, habe ich das ins Plattdeutsche übersetzt und gesagt, das ist Tünkram.“
Wie der Kanzler wohl die Antwort auf die Große Anfrage ins Plattdeutsche übersetzen würde?